Alte Musik – Die CDs des Jahres 2018

Das Jahr 2018 war wieder prall gefüllt mit hervorragenden CD-Einspielungen im Bereich der Alten Musik. Acht Alben werden dabei besonders in Erinnerung bleiben.

Leicht lässt sich diese Liste nicht gerade zusammenstellen, es sind im abgelaufenen Jahr wieder so viele wunderbare Neueinspielungen mit Alter Musik erschienen, dass die Auswahl schwer fällt. Diese acht sind es jetzt also geworden, in der Sendung „Alte Musik“ am 28.12. um 18.04 Uhr im kulturradio vom rbb werden sie alle nochmal klanglich vorgestellt.

Wer jetzt dringend noch ein Jahresendgeschenk sucht, dem kann ich alle acht CDs mit bestem Gewissen empfehlen. Viel Freude beim Hören!

  1. War & Peace – 1618:1918

Arien, Lieder bzw. Chansons von Heinrich Schütz, Johann Hildebrand, Andreas Hammerschmidt, Friedrich Hollaender, Hanns Eisler und anderen; Dorothee Mields, Sopran, Lautten Compagney Berlin, Wolfgang Katschner, Leitung; deutsche harmonia mundi 19075868442

Dieses Album präsentiert eine vermutlich noch nie realisierte Musikmischung: Geistliche Konzerte und Arien des frühen 17. Jahrhunderts, etwa von Heinrich Schütz, Heinrich Albert und Melchior Franck werden mit Liedern und Chansons von Friedrich Hollaender und Hanns Eisler kombiniert. Dieses durchaus gewagte Experiment hat die Lautten Compagney Berlin unter Leitung von Wolfgang Katschner unternommen, um damit eine musikalische Brücke vom 30-jährigen Krieg zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts zu schlagen.

Und das Experiment gelingt hervorragend. Die barocken Werke vermögen in ihrer unmittelbaren Ausdruckskraft ebenso zu berühren wie die „Lieder eines armen Mädchens“ von Hollaender oder manch ernster Gesang von Eisler. Zuweilen sind die Übergänge zwischen der Musik des 17. und 20. Jahrhunderts so raffiniert und eng, dass man die Stücke spontan auch der jeweils anderen Zeit zuordnen könnte. Gewaltigen Anteil daran haben die überragende Sopranistin Dorothee Mields, die einmal mehr mit ihrer reinen und warmen Stimme begeistert, sowie Bo Wiget, der die Musik von Hollaender und Eisler in genialer Weise für Barockensemble arrangiert hat.

 

  1. „Les Défis de Monsieur Forqueray“ („Die Herausforderungen des Herrn Forqueray“)

Antoine Forqueray, Pièces de viole, Violinsonaten von Michele Mascitti, Jean-Marie Leclair und Arcangelo Corelli in Bearbeitungen für Viola da gamba und Basso continuo; Lucile Boulanger, Viola da gamba, Pierre Gallon, Cembalo, Claire Gautrot, Viola da gamba, Romain Falik, Theorbe; Harmonia mundi France HMM 902330.

Auf ihrer neuesten CD macht sich die junge französische Gambistin Lucile Boulanger auf die Suche nach musikalischen Werken, die Antoine Forqueray Anfang des 18. Jahrhunderts in Paris inspiriert haben könnten. Sie stößt dabei auf drei prominente Geiger jener Zeit, deren Violinsonaten sie in Gambenbearbeitungen einspielt und einer Gambensuite von Forqueray gegenüberstellt. Das Ergebnis ist verblüffend – kein stilistischer Bruch ist zwischen Violin- und Gambenrepertoire zu hören, vielmehr scheint sich Forqueray sehr an der geigerischen Stilistik orientiert zu haben.

Ganz abgesehen von dieser konzeptionellen Erkenntnis ist die Interpretation von Lucile Boulanger makellos und sehr beeindruckend. Sie beherrscht alle Spielarten auf diesem so differenziert klingenden Instrument hervorragend. Keine noch so virtuose (geigerische) Koloratur ist ihr zu rasant, tief empfunden mit großen melodischen Bögen erklingen langsame Sätze, die Intonation ist durchweg perfekt. Hinzu kommt eine hervorragende Aufnahmetechnik, die die Gambe warm, voll und farbig wiedergibt.

 

  1. „Abendmusiken“

Dietrich Buxtehude, Kantaten und Triosonaten; Vox luminis, Ensemble Masques, Lionel Meunier, Leitung; Alpha 287.

Unter dem Titel „Abendmusiken“ haben die Ensembles Vox luminis und Masques fünf Kantaten und drei Triosonaten von Buxtehude eingespielt. Als Gesamteindruck fällt beim Hören die schlichte Pracht auf, mit der die 10 Sänger und 8 Instrumentalisten diese Spitzenwerke des norddeutschen Barock interpretieren. Nirgends wird Effekthascherei betrieben, nirgendwo werden Tempi zu stark forciert oder dynamische Kontraste unnötig aufgeblasen. Stattdessen dominieren eine makellose Intonation, sehr gute Textverständlichkeit und vor allem eine größtmögliche Homogenität. Alle Sologesänge werden – wie immer bei Vox luminis – von Mitgliedern des Ensembles selbst bestritten, überdies funktioniert das Zusammenspiel mit den Instrumentalisten von Masques hervorragend. Schöner als in dieser sanft und geschmackvoll vergoldeten Form kann man Buxtehude nicht aufführen.

 

  1. Graupner-Kantaten

Christoph Graupner, Duo-Kantaten für Sopran & Alt; Miriam Feuersinger, Sopran, Franz Vitzthum, Countertenor, Capricornus Consort Basel, Peter Barczi, Leitung; Christophorus CHR 77427.

Graupner for Thomaskantor! Hat leider nicht geklappt 1723, er musste in Darmstadt bleiben und hat in knapp 50 Jahren mehr als 1.400 Kantaten komponiert. Dass diese Stücke ebensolche Kostbarkeiten sind wie die des Kollegen Bach, zeigt eine CD mit vier Duo-Kantaten von Graupner.

Miriam Feuersingers wunderbar reiner und leuchtender Sopran ist dabei ebenso beeindruckend wie die wohlgeformte, angenehme Stimme von Franz Vitzthum. Beide sind gleichermaßen koloratur- wie intonationssicher, so dass die vielen Duette in vollendeter Perfektion zu hören sind. Hinzu kommt das Capricornus Consort Basel, das in solistischer Besetzung brilliert, und trotz der exponierten Soli (Peter Barczi, Eva Borhi) nie der Versuchung verfällt, vordergründige Virtuosität aufzutischen. Und am Ende steht wieder der große Wunsch: Mehr Graupner, und möglichst in dieser Idealbesetzung!

 

  1. Henry Purcell, Songs & Dances,

Henry Purcell, Arien und Songs aus „King Arthur“, „The Fairy Queen“, „Ode for St Cecilia’s Day“ u.a., Instrumental- und Tanzsätze; Tim Mead, Countertenor, Les Musiciens de Saint-Julien, François Lazarevitch, Leitung; Alpha 419.

Diese Purcell-CD ist als ein buntes Wechselspiel von Vokal- und Instrumentalwerken angelegt und stellt die stilistische Vielfalt der Kompositionen von Henry Purcell in den Mittelpunkt. Arien und Songs aus Bühnenwerken und Kantaten werden geschickt mit Instrumentalsätzen verbunden, die mal lebhaft, mal melancholisch und auch mal charmant folkloristisch angelegt sind. Die Stimme von Tim Meads fasziniert dabei in allen Lagen mit ihrer Klarheit, Intonationsreinheit und Wärme. Der Countertenor verzichtet ganz bewusst auf überflüssige, vordergründige Effekte, sondern konzertriert sich ganz auf den originalen Notentext, den er mit wohl dosierten Verzierungen anreichert. Mit den Musiciens de Saint-Julien steht Tim Meads ein ideales Instrumentalensemble zur Seite. Beeindruckend ist hier vor allem das ungemein große Farbspektrum, das von den elf Spitzenmusikern ausgeht. Vom samtigen Flötenchor (an der Spitze François Lazarevitch persönlich) über die akzentuierten Streicher bis hin zu Musette und einer reicher Continuogruppe stimmt hier einfach alles.

 

  1. Marienvesper

Claudio Monteverdi, Vespro della Beata Vergine; Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe, Leitung; PHI 029.

Das Monteverdi-Jahr 2017 hat Philippe Herreweghe zum Anlass genommen, noch einmal die fantastische Marienvesper einzuspielen. Drei Jahrzehnte sind seit seiner ersten Aufnahme vergangen, bis auf den Bassisten Peter Kooij und den Dirigenten selbst hat sich die Besetzung des Collegium Vocale Gent (damals Collegium Vocale und La Chapelle Royale) komplett verändert.

Mit seiner neuen Aufnahme bleibt Herreweghe unmittelbar am Notentext und sorgt für eine makellose, brillante Interpretation, wie sie in den letzten Jahren sehr selten war. Die Tempi und Proportionen stimmen, der Gesamtklang ist farbig und abwechlungsreich. Möglich wird diese Qualität durch ein sorgfältig ausgewähltes Vokal- und Instrumentalensemble, das in sich enorm homogen klingt. Bewährte Kräfte (wie Bruce Dickey, Peter Kooij, Dorothee Mields u.a.) musizieren gemeinsam mit Jungstars der Szene (wie Reinoud Van Mechelen, Romina Lischka u.a.). Selbst für die gregorianischen Antiphonen hat er mit Barbora Kabátková eine ausgesprochene Spezialistin herangezogen.

 

  1. Baroque Twitter

Konzerte und Arien von Andrea Stefano Fiorè, Leonardo Vinci, Francesco Mancini, Francesco Gasparini, Tomaso Albinoni, Antonio Vivaldi, Johann Adolf Hasse, Charles Dieupart und anderen; Nuria Rial, Sopran, Maurice Steger, Blockflöte, Kammerorchester Basel, Stefano Barneschi, Violine und Leitung; deutsche harmonia mundi 88985497582.

Die Sopranistin Nuria Rial und der Flötist Maurice Steger sind in dieser Produktion dem barocken Vogelgezwitscher auf der Spur und haben dazu acht Arien aus italienischen Barockopern des 18. Jahrhunderts ausgewählt, in denen textlich von der „verliebten Schwalbe“, der „sangesfreudigen Nachtigall“ oder einfach nur dem „anmutigen Vöglein“ die Rede ist. Die Komponisten – darunter Andrea Stefano Fiorè, Leonardo Vinci, Francesco Gasparini, Johann Adolf Hasse und andere – haben sich von diesen Texten inspiriert gefühlt, den Vogelsang auch im Vokal- und Instrumentalpart nachzuahmen. So finden sich darin wunderbar klangschöne Dialoge zwischen Sopran und Blockflöte (meist Flautino, der kleinsten Flöte dieser Instrumentenfamilie) bzw. Streichorchester. Auch wenn es keine der Opern je in das Repertoire schaffen wird, ist hier eine Arie schöner als die andere.

Dass man dieses Album als Hörer von A bis Z nur genießen kann, liegt in erster Linie an den exzellenten Hauptdarstellern. Nuria Rial betört mit ihrer reinen, warmen, an der Alten Musik geschulten Stimme, die scheinbar mit spielerischer Leichtigkeit alle virtuosen Passagen und lichten Höhen bewältigt. Einfach herrlich! Maurice Steger gibt dazu auf der Blockflöte seine instrumentalen „Kommentare“ ab, auch hier sind bei makelloser Technik ganz wunderbare Ausdrucksnuancen zu vernehmen. Keiner der beiden drängt sich dabei in der Vordergrund, es ergibt sich ein idealer Dialog, den man immer wieder hören möchte. Das Kammerorchester Basel spielt dazu in einer kleinen, exklusiven Besetzung. – Ein Album für Genießer!

 

  1. Traumwerk

Werke von Giovanni Antonio Pandolfi Mealli, Johann Hieronymus Kapsperger, Johann Jacob Froberger, James Dillon und anderen; Texte von Paul Fleming, Martin Opitz, Andreas Gryphius und anderen; Continuum, Elina Albach, Cembalo und Leitung, Robert Gwisdek, Sprecher; Continuum Records.

Diese CD passt buchstäblich in kein Raster. Schon das Format ist außergewöhnlich, sehr viel Sorgfalt wurde auch in die graphische Gestaltung des Booklets gelegt. Und es ist tatsächlich ein Gesamtkunstwerk geworden: „Traumwerk“ vereint die oftmals bizarren Sonaten von Giovanni Antonio Pandolfi Mealli mit Werken von James Dillon (unter dem Titel Traumwerk) sowie mit Texten und Gedichten des 17. Jahrhunderts. Die Darbietung durch die vier Musiker Elina Albach (Cembalo), Elfa Rún Kristinsdóttir (Violine), Daniel Rosin (Cello) und Andreas Arend (Chitarrone) ist von atemberaubender Qualität und setzt ganz neue Maßstäbe.